Peter Hollo: Die 7 Retail-Trends der Zukunft - Sind Sie bereit?

1. Die Renaissance von Brick and Mortar.

 

Es ist noch gar nicht so lange her, da prophezeite man den unweigerlichen Untergang des stationären Handels. Die gute Nachricht, das wird nicht passieren. Die schlechte Nachricht, es werden vollkommen andere Unternehmen sein, die diesen Markt beherrschen werden. Diese Entwicklung wird selbst vor den großen klassischen Handelskonzernen keinen Halt machen. Viel zu lange hat man in diesen Unternehmen den technischen und gesellschaftlichen Fortschritt ignoriert, die digitale Disruption zwar zu Kenntnis genommen, aber nicht adäquat darauf reagiert. Größter Verlierer wird der inhabergeführte Fachhandel sein. Dieser wird größtenteils aufhören zu existieren. Übrigbleiben wird eine Anzahl von kleinen schlagkräftigen Convenience orientierten Anbietern, mit geringster Kostenstruktur. Vereinfacht gesprochen, so mancher Inhaber eines Büdchens wird seine mittelständischen Kollegen für Jahre überleben. Nicht nur das, wir reden dabei über ein veritables Zukunftsmodell.

 

Die Treiber von Brick and Mortar werden genau die Unternehmen sein, die lange Zeit als der größte Feind desselben galten, nämlich die großen E-Commerce-Anbieter. Nachdem man seinen Wettbewerb sehr erfolgreich im Netz geschlagen hat, werden genau diese Unternehmen nun den Kampf um die Vorherrschaft im stationären Handel für sich entscheiden. Die Herausforderung auf eigenem Boden, werden viele der klassischen Handelsunternehmen nicht überstehen. Schwerfällig, technik- und innovationsfeindlich, von einem überalterten Management geführt und von verkrusteten Strukturen gehemmt, werden die heutigen Big Player zusehen müssen, wie ihre Marktanteile an Amazon, Ali Baba und eine ganze Reihe neuer Wettbewerber verloren gehen. Was Amazon gerade mit seinem Amazon GO Konzept umsetzt, ist no Rocket Science, sondern Technik, die dem Handel schon seit langer Zeit zur Verfügung stünde. Jahrelang diskutiert, niemals ernsthaft zum Einsatz gebracht. Viel zu lange hat der Brick-and-Mortar Handel Trends und Innovationen ignoriert. Viele Handelsunternehmen verstehen ihre Kunden nicht mehr. Controlling getriebene Nabelschau hat den Blick auf den Konsumenten, dessen Wünsche und Einstellungen versperrt.

 

 

2. Der Shop kommt zum Kunden und nicht mehr der Kunde zum Shop.

 

Nicht nur autonome und mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Lieferroboter oder Lieferdrohnen werden zukünftig unsere Waren ins Haus bringen. Mit der Einsatzreife von autonomen Fahrzeugen, werden wir einer ganz neuen Art von Shop begegnen. Nicht mehr wir werden zum nächsten Geschäft fahren, sondern das Geschäft kommt zu uns. Ganze Heerscharen von Shops auf Rädern werden dem Konsumenten das Einkaufserlebnis direkt vor die Haustüre bringen. On-Demand oder turnusmäßig. Das Planning dafür, ist dank Big Data und fortschreitender Vernetzung ein Kinderspiel.

 

 

3. Daten, Daten, Daten.

 

In wenigen Jahren wird der Begriff Zielgruppe der Vergangenheit angehören. Ziel ist eine 100% individualisierte Kundenansprache. Big Data macht das problemlos möglich. Mittlerweile weiß das Netz schon so viel über jedes einzelne Individuum, dass eine solche individualisierte Kundenansprache jederzeit möglich wäre. Herausforderung lediglich, die Aggregation und Analyse der Daten, deren unbeschränkter Austausch und Nutzung. Dem entgegen steht in vielen Ländern (noch) eine Gesetzeslage, die all das verhindert. Diese Gesetzeslage wird sich allerdings verändern, auch in Ländern in denen Datenschutz bisher sehr restriktiv gehandhabt wird. Diese Restriktionen werden über kurz oder lang fallen.

 

Einen kleinen Eindruck davon, bekommen wir heute schon, durch die personalisierten Anzeigen, die jedem unserer Ausflüge ins Netz fast unbemerkt folgen. Verglichen mit dem, was in den nächsten Jahren auf uns alle zukommen wird, allerdings geradezu lächerlich simpel.

 

Stellen Sie sich doch folgendes Szenario vor:

 

Sie betreten ein Geschäft. Sofort werden Sie von der Gesichtserkennung erfasst und erkannt. Jeder, Ihrer Wege, jede Bewegung, jeder Griff ins Regal, wird aufgezeichnet und protokolliert. Welche Warengruppen haben Sie interessiert? Welche Produkte haben Sie in die Hand genommen, aber wieder ins Regal gestellt? Welche Produkte haben Sie sich wie und wie lange angeschaut, danach gekauft oder nicht gekauft? Welchen Gesichtsausdruck haben Sie wo im Geschäft gemacht, wie war Ihre Körpersprache? Haben Sie das Geschäft zufrieden oder unzufrieden verlassen? All das wird zukünftig nicht nur ausgewertet werden, sondern gleich mit einer Reaktion verbunden sein. Personalisierte Shoppinglists, optimierte Laufwege, Call to Action. Produktvorschläge, Informationen zu Produkten oder Promotions. Als Push-Nachrichten, zunächst noch an Ihr Smartphone, zu einem späteren Zeitpunkt an ein anderes Kommunikationsdevice. Sie sehen unzufrieden aus? Schon erhalten Sie eine personalisierte Message, die durch die Kenntnis Ihrer Vorlieben und Ihres Einkaufsverhaltens, Ihre Kauflaune sofort verbessern wird. Sie sind gestresst, schon hören Sie Ihre Lieblingssongs – vorbei die Zeiten nerviger Kaufhausmusik. 

 

 

4. Der Einsatz von Robotern.

 

Mit dem Siegeszug der künstlichen Intelligenz, werden sich viele Arbeitsplätze nachhaltig verändern. Viele Berufe, die heute von Menschen ausgeführt werden, werden zukünftig von Robotern mit künstlicher Intelligenz übernommen werden. Längst vorbei sind die Zeiten der tumben Industrieroboter, die mit den immergleichen Bewegungen, namenlose Produkte fertigen.

 

Die Verkäufer und Verkäuferinnen der Zukunft werden in großen Teilen des Einzelhandels intelligente Roboter sein, mit einem unendlich erweiterbaren, jederzeit abrufbaren Wissensschatz. Stets gut gelaunt, niemals krank, im Sinne des Unternehmens programmiert. Gegenseitig in Echtzeit vernetzt und mit Schwarmintelligenz ausgestattet.

 

Von deren Kolleginnen und Kollegen im Lager ganz zu schweigen. Ware picken, packen und versenden, 24/7. Inklusive Übergabe an die schon erwähnten autonome Lieferfahrzeuge, ausgestattet mit Robotereinheiten, die Ihnen Ihre Produkte direkt an die Haustür bringen. Das wird zum Aussterben ganzer Berufsgruppen führen. Lagerfachkräfte, Fernfahrer, Postboten, Kurierfahrer oder Taxifahrer sind nur ein kleiner Teil davon. 

 

 

5. Chore-Shopping und Reward-Shopping – zwei vollkommen verschiedene Welten.

 

Es gibt Dinge, die müssen wir einkaufen, nämlich die Dinge des täglichen Bedarfs. Dieses Chore-Shopping wird sich die nächsten Jahre massiv verändern. In einigen Jahren werden sich nur noch die Älteren daran erinnern, dass wir einmal, bewaffnet mit einem Einkaufszettel, in den nächste Supermarkt gefahren sind und dort Zahnbürsten, Toilettenpapier, Butter oder Marmelade gekauft haben. Das Internet der Dinge wird dazu führen, dass diese Art des Einkaufs verschwinden und einem automatisierten integrierten Logistikprozess weichen wird. Ihr Haushalt, nicht nur der immer wieder gerne zitierte Kühlschrank, wird wissen, welche Verbrauchsgüter demnächst zur Neige gehen und wann und wo in welcher Menge (Big Data!) diese nachbestellt werden müssen. Stellen Sie sich die Möglichkeiten für Markenartikler in diesem Zusammenhang vor, und für die Anbieter dieser logistischen Regelkreise. Was wäre ein Markenartikler bereit zu bezahlen um bevorzugt ausgewählt zu werden um damit die eigenen Umsätze zu treiben? Der Amazon Dash-Button, im Vergleich dazu, ein erster wohlgemeinter aber unbeholfener Schritt.

 

Ganz anders, das Reward-Shopping. Während im Bereich Chore-Shopping zukünftig vieles unbemerkt und mit möglichst wenigen Eingriffen des Konsumenten von statten gehen wird und aus der Sicht des Handels vielleicht auch gehen soll, geht es im Bereich Reward-Shopping darum sich selbst zu belohnen. Jeder Einkauf wird zelebriert und zu einem unvergleichlichen Erlebnis gemacht. Sollen doch die entstehenden Glücksgefühle sofort den Wunsch wecken, dieses Glückserlebnis immer und immer wieder zu wiederholen. Nicht mehr das Produkt ist der Star, sondern der Prozess des Einkaufens wird zu einem sozialen und persönlichen Erlebnis.

 

Im Bereich Reward- Shopping erlebt dann auch wieder das Fachgeschäft seine Renaissance. Die schlechte Nachricht für alle Fachhändler: Nicht Inhabergeführt, sondern als Teil einer zentral gesteuerten diversifizierten Marketingidee eines internationalen Konzerns. Kuratierte Sortimente, Shoppingwelten, die passgenau auf die Zielgruppe zugeschnitten sind und ...die Renaissance des Menschen. Reward-Shopping, das bedeutet auch sozialer Kontakt, Gemeinsamkeiten, Emotionen, sich-in-die-Augen-schauen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem auch das von „künstlichen Menschen“ 1:1 geleistet werden kann (dieser wird unweigerlich kommen), wird diese Arbeit weiterhin von Menschen übernommen werden. Als eine der letzten Bastionen im Handels- und Dienstleistungssektor.

 

 

6. Augmented Reality und Virtual Reality.

 

Es gibt eine ganze Reihe von Produkten, bei denen E-Commerce dem stationären Brick-and-Mortar Handel (noch) unterlegen ist. Alle Produkte, bei denen, über das Sehen und Hören hinaus, noch anfassen, riechen und schmecken eine große Rolle bei der Kaufentscheidung spielen. Selbst bei Bekleidung, Schuhen und Accessoires, wahrlich kein geringer Teil des Online-Umsatzes, gibt es (noch) keine virtuelle Anprobelösung, die mit einer echten Anprobe im Geschäft mithalten kann. Alle diese Nachteile werden im E-Commerce derzeit über aggressives Pricing und Ressourcen bindende kostenintensive Logistik kompensiert. 

 

Der Siegeszug des E-Commerce und die Verdrängung des Wettbewerbs, werden bis heute über minimale Profite oder sogar durch geplante Verluste finanziert. Das wird und kann so nicht bleiben. Mit zunehmendem Wachstum des E-Commerce und steigendem Konkurrenzdruck innerhalb der Anbieter untereinander, werden diese gezwungen sein nachhaltig profitabel zu werden Das kann über mehrere Wege geschehen: Höhere Erlöse, Preise rauf. Niedrigere Kosten und Nutzung freiwerdender Ressourcen, z.B. durch Einsparungen in der Logistik und bei nachgelagerten Prozessen. Zum Beispiel, über die Reduzierung von Rücksendequoten, durch „falsche“ Bestellungen oder Bestellungen „zur Auswahl“. Und selbstverständlich über erhöhte Conversion, bei unentschlossenen oder unsicheren potenziellen Kunden durch positive Bestärkung und erweiterte Emotionalisierung und Sensualisierung des Einkaufserlebens.

 

Steht mir das neue Kleid wirklich? Augmented Reality ermöglicht Ihnen die realitätsnahe Anprobe. Sehen die neuen Schuhe schick aus? Passen diese zu dem neuen Kleid bei einem anderen Anbieter? Wie sehe ich am Steuer meines neuen Luxuswagens aus? Wie fühlt es sich an, wenn ich diesem über eine Rennstrecke meiner Wahl pilotiere? Diese Fragen werden sich Konsumenten zukünftig nicht mehr stellen müssen. Mit Hilfe von Augmented und Virtual Reality werden Sie das überall audiovisuell erleben können. Weder an Zeit, noch an Ort gebunden.

 

Ein aufregender Bummel durch eine virtuelle Verkaufsfläche wird den vergleichsweise emotionslosen Online-Shop im gehobenen und Premium-Segment ablösen. Vorbei ist dann die Zeit der aus allerlei Perspektiven aufgenommen Produktabbildungen, nebst zugehöriger Beschreibungen. Und wer sagt, dass Ihre Kunden zukünftig einen gewöhnlichen Shop betreten werden? Virtuell ist alles möglich. Games-Shopping im Look & Feel des jeweiligen Fandoms, vielleicht sogar direkt im Setting des Games selbst. Als Kunde, wählen Sie Ihre Schuhe im luxuriösen Ambiente einer Celebrity Mansion aus, gleich nachdem Sie dort den Pool besichtigt haben. Und was sehen Sie da, ganz zufällig, im Augenwinkel? Einen Traum von einer Handtasche. Jetzt können Sie sich entscheiden. Sie nehmen diese in die Hand und erhalten alle Informationen dazu, kaufen diese vielleicht sogar. Oder Sie lassen sich verführen machen sich auf dem Weg zur Handtaschensammlung der Lady of the House – ein wenig stöbern kann nichts schaden. Dabei fällt Ihr Blick auf einen schicken Sportwagen vor der Tür…. Was Sie als Kunde sehen, das entscheidet Big Data und geschieht darüber hinaus reaktiv und in Echtzeit. Dass Sie bei Ihrem Ausflug selbstverständlich auch den einen oder anderen Celebrity treffen, ebenfalls über Big Data und reaktiv und in Echtzeit gesteuert, das macht Ihr Einkaufserlebnis komplett. Wie wäre es, den letzten Blockbuster direkt bei den Helden dieses Films zu kaufen? Virtueller Shop, virtuelles Personal. Alles ist möglich.

 

Es geht aber noch verrückter. Was würden Sie davon halten, wenn Sie Ihr Lieblingsdesigner zu Hause besucht? Dank Augmented Reality sitzt er bei Ihnen auf der Couch und stellt seine neuesten Kreationen vor. Und seine Models dazu, hat er gleich mitgebracht. Oder Ihr Wohnzimmer wird zur Werkstatt. Dank Augmented Reality kreieren Sie zukünftig Ihr persönliches personalisiertes Produkt. Die Möglichkeiten dafür sind endlos. Sie alle kennen den vergleichsweise einfachen Konfigurator für Ihren nächsten Wagen. Mit Augmented Reality steht dieses Fahrzeug in Zukunft direkt vor Ihnen und Sie bauen es sich nach Ihren Wünschen zusammen. Ein wahrer Abenteuerspielplatz für Automobilenthusiasten!

 

Auch im stationären Handel wird Augmented Reality das Einkaufserlebnis revolutionieren. Zunächst über entsprechende Smartphones und Brillen, dann aber sehr schnell über entsprechende Kontaktlinsen (die gibt es schon), werden Konsumenten bei jedem Einkauf entsprechenden Content direkt auf die Netzhaut projiziert bekommen. Das können Informationen zum Produkt sein, wie Größe, Inhaltsstoffe, Komponenten oder Einsatzmöglichkeiten. Aber auch Informationen zu Vergleichsprodukten, Aktionen oder Promotions, Wettbewerbspreise und vieles mehr. Selbstverständlich auch Orientierungshilfen oder Vorschläge für Shoppingtouren, im Shop und darüber hinaus. Denn, Sie erinnern sich, Big Data. Das Netzt kennt Sie und Ihre Vorlieben.

 

Selbst der gute alte Spiegel bei der Anprobe bekommt vollkommen neue Aufgaben. Information, Kommunikation, Werbung und PR. Mit Augmented Reality wird der Spiegel zum multimedialen Instore Media-Device und Einkaufsberater in einem. 

 

 

7. Virtuelle Sensorik.

 

Stellen Sie sich vor, Sie könnten das Steak aus dem Online-Shop virtuell schmecken, das Parfüm virtuell riechen oder sogar den Pulverdampf in Ihrem nächsten Videospiel? Beim virtuellen Besuch Ihrer nächsten Urlaubslocation riecht es tatsächlich nach Meer oder den Gewürzen des Orients?

 

Das ist die nächste große technische Revolution im Online-Shopping. Die Stimulierung entsprechender Gehirnregionen zur Erzeugung virtueller Sinneseindrücke. Was jetzt möglicherweise wie Science-Fiction klingt, befindet sich derzeit in der Erprobungsphase. Es ist keine Frage mehr, dass diese Technik kommen wird. Die Frage ist nur noch wann? Zu welchen Kosten? Mit welcher gesellschaftlichen Akzeptanz?

 

Wenn die virtuelle Sensorik eines Tages massentauglich sein wird, ist kaum zu ermessen, was zusammen mit Augmented-  und Virtual Reality dann möglich ist. Nicht nur im (Online-) Shopping. Die Kombination dieser Techniken, wird Videospiele, Erotikangebote, aber auch Bildungs- und Ausbildungsangebote, die Medizin und viele Bereiche mehr, vollkommen verändern und ganz neue Märkte und Angebote schaffen. Und unsere Gesellschaft wird sich gewichtigen Fragen stellen müssen. Darunter u.a.: Wie viel virtuelles Erleben ist „gesund“ und gesellschaftlich erwünscht? Wie realistisch darf virtuelles Erleben sein? Wie gehen wir als Gesellschaft mit einer damit zwangsläufig einhergehenden Suchtproblematik um? Wie verhindern wir, dass die Nutzung pathologisch wird, wenn die gelegentlichen Ausflüge in die Virtualität zur Realitätsflucht werden, oder Realität und Virtualität nicht mehr unterschieden werden können? Das allerdings nur am Rande erwähnt, denn darum soll es an dieser Stelle nicht gehen.

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